Mindestflur/Mindestflurkonzeption:
Für Gemeinden mit sehr hohem Waldanteil ist es vorteilhaft, eine Mindestflur (Flächen, die außerhalb des Waldes und der Bebauung liegen) zu bestimmen. Eine Planungsgrundlage hierfür ist die Mindestflurkonzeption. Durch sie wird die Wald-Flur-Grenze und somit die angestrebte Mindestgröße des Offenlandes festgelegt. Die Umsetzung der Mindestflurkonzeption mittels Landschafts- und Flächenbewirtschaftungsmaßnahmen wirkt sich positiv auf den Naturhaushalt (Klima, Biotop- und Artenschutz), die Agrarstruktur sowie die Erhaltung des Landschaftsbildes zur Erholung des Menschen aus.
Im Schwarzwaldprogramm des Landes von Juli 1973 wird die Mindestflur wie folgt beschrieben: "Unter Mindestflur werden diejenigen Flächen verstanden, die außerhalb des Waldes und der bebauten Bereiche liegen und die freizuhalten sind von Wald, von Bebauung sowie von solchen Nutzungen und Gestaltelementen, die eine Beeinträchtigung der Funktionen der zu erhaltenden Flur zur Folge haben." (S. 31)
Zum Verfahren der Ausweisung der Mindestflur führt das Schwarzwaldprogramm aus: "Die Mindestflur wird unter Beachtung landschaftspflegerischer Prämissen ausgewiesen. Sie dient der Wahrung, Sicherung und Entwicklung der Landschaft als Siedlungs-, Kultur- und Erholungsraum. Ihre besonderen Funktionen (vorrangig Sozialfunktionen) für die Landschaft und die Menschen kann sie nur bei einem bestimmten Mindestumfang erfüllen. In der Mindestflur können Flächen einerseits die verschiedensten Sozialfunktionen erfüllen, andererseits können sie auch nur eine Sozialfunktion (z. B. Erholungsflur, Klimaschutzflur, Retentionsflur) haben. Die Ausweisung erfolgt ohne Berücksichtigung von Eigentums- und Verwaltungsgrenzen." (S. 73)
Andererseits eröffnen Förderprogramme des Landes (FAKT, LPR, AZL) die Möglichkeit, die landwirtschaftliche Nutzung gerade auf landbauproblematischen Standorten verstärkt zu unterstützen. Um so dringender wird daher die verbindliche Ausweisung der von der Aufforstung freizuhaltenden und durch landwirtschaftliche Nutzung oder Pflege offen zu haltenden Fläche (Mindestflur). Im Landeswaldgesetz (§ 6 Abs. 5) heißt es, "die Mindestflur ist freizuhalten".
Spezielle Kriterien für die Ausweisung der Mindestflur können sein:
- Günstige Landbaustandorte
- Mindestwaldabstand von Siedlungsflächen
- Hoher vorhandener Waldanteil
- Freihaltung gut erreichbarer und bevorzugter Ausblicke (Fremdenverkehr)
- Flächen für besondere Erholungsaktivitäten
- Klimatische Gegebenheiten (z. B. Kaltluftabfluss)
- Besondere Biotope
- Freihaltung bemerkenswerter natürlicher Landschaftselemente
Eine Mindestflurkonzeption ist eine kommunale Selbstverpflichtung der jeweiligen Gemeinde. Sie wird in der Regel
vom Gemeinderat als Gemeindesatzung verabschiedet, nachdem sie mit den zuständigen Behörden auf Landkreisebene
(Forst, Landwirtschaft, Naturschutz) abgestimmt und von der Unteren Verwaltungsbehörde (Landratsamt) genehmigt wurde.
Eine Aufnahme existierender Mindestflurkonzeptionen in die Forstliche Rahmenplanung, die Bauleitplanung, die
Landschaftsplanung und andere Fachplanungen ist dringend zu empfehlen, damit die offen zu haltenden Flächen nicht überplant
werden.
Von 1800 bis heute hat der Wald in Baden-Württemberg um rund 3000 km² zugenommen. Allein in den letzten 10 Jahren betrug die jährliche Erstaufforstung 3 km², dazu kommen noch zahlreiche Flächen, die durch natürliche Sukzession auf offen gelassenen landwirtschaftlichen Flächen dem Wald zugeführt werden (Landesforstverwaltung BW). Wegen des fortgesetzten landwirtschaftlichen Strukturwandels ist damit zu rechnen, dass auch in den kommenden Jahren verstärkt Flächen aus der landwirtschaftlichen Nutzung genommen und aufgeforstet werden. Die Aufforstungsprämie gibt zusätzliche finanzielle Anreize zur Aufforstung ertragsschwacher und schwer bewirtschaftbarer Flächen. Besonders in waldreichen Gebieten kann es deswegen zu ernsthaften Konflikten zwischen den Aufforstungswünschen des Einzelnen und den Zielen der Allgemeinheit bezüglich der Offenhaltung der Kulturlandschaft, der Verbesserung der Agrarstruktur, der Erhaltung reizvoller Landschaftsbilder, besonderer Biotope oder Vorkommen seltener oder bedrohter Tier- und Pflanzenarten kommen.
Die folgende Methodik zur Erstellung einer Mindestflurkonzeption wurde von den (ehemaligen) Referaten Agrarökologie
und Biotopvernetzung und Landschaftsentwicklung, Kultur- und Erholungslandschaft beim Landesamt für Flurbereinigung entwickelt. Sie
gliedert sich in 6 voneinander zu trennende Arbeitsschritte:
1.1 Bildung eine projektbegleitenden Arbeitskreises
Mögliche TeilnehmerInnen:
- Gemeinde
- Landwirtschaftsamt
- Forstamt
- Untere Naturschutzbehörde
- Sonstige Behörden, soweit betroffen, z.B. Wasserwirtschaftsamt, Flurbereinigungsamt,...
- Bauernverbände
- Naturschutzverbände
- PlanerInnen
Aufgaben des Arbeitskreises:
- Klärung der Aufgabenstellung
- Erarbeitung einer naturraumbezogenen Zielsetzung als vorläufiger Maßstab für die Bestandserhebung und Bewertung
- Bereitstellung vorhandener Unterlagen und Planungen
- Mitwirkung bei der Erarbeitung der Bewertungskriterien, Gewichtung der Kriterien
- Abstimmung
Die Bildung eines solchen Arbeitskreises muss gezielt angeregt werden. Die aktive Beteiligung der verschiedenen VertreterInnen von Behörden und Verbänden ist wichtig. Der Arbeitskreis bildet die notwendige Klammer für die einzelnen Planungsschritte und die drei Planungsebenen (landschaftspflegerisches Konzept, agrarstrukturelle Verhältnisse, politische Vorgaben) und sollte die Akzeptanz in der Gemeinde fördern (Multiplikator-Effekt).
1.2 Auswertung vorhandener Unterlagen und Planungen durch PlanerIn oder
Verwaltung
- Landesentwicklungsplan
- Landschaftsrahmenprogramm
- Regionalplan
- Landschaftsrahmenplan
- Flächennutzungsplan
- Landschaftsplan
- Örtliches Entwicklungskonzept
- Historische Karte
- Geologische Karte
- Topographische Karte
- Ökologische Standorteignungskarte
- Klimaatlas
- Naturräumliche Gliederung
- Bodenschätzungskarte
- Flurbilanz
- Landwirtschaftliche Vorplanung
- Wald- Weidekartierung
- Waldfunktionenkarte
- Wege- und Gewässerplan mit landschaftspflegerischem Begleitplan
- Vegetationskundliche Karten
- Biotopkartierung Baden-Württemberg
- Schutzgebietskarten und –verordnungen
- Örtliche Biotopkartierung, -vernetzung
- Orthophotos
- Heimatbücher, Wanderführer
- Wanderkarten, Fremdenverkehrsprospekte
- Weitere Programme, Planungen und Veröffentlichungen
- Befragung Ortskundiger
2.1 Erfassung des Ist-Zustandes der Landschaft
Kartengrundlage:
- Verkleinerung der Flurkarten auf den Maßstab 1:5.000 mit Höhenlinien
Kartiert werden (soweit nicht vorhanden):
- Bodennutzung
- Hangneigung
- Schutzgebiete und geschützte Einzelobjekte
- Geschützte Biotope nach § 30 BNatSchG (§ 24aNatSchG BaWü = Biotopschutzgesetz)
- Faunistische und floristische Besonderheiten
- Landschaftstypische und historische Fluren und Elemente
- Landschaftselemente
- Freizeit- und Erholungsflächen
- Aussichtspunkte, Blickbeziehungen
- Lokalklimatisch bedeutsame Strukturen
- Landschaftsschäden
2.2 Darstellung der Kartierergebnisse in verschiedenen Karten
(M 1:5.000), Bestand und Planung
- Grundkarte
- Karte der Erholungsfunktion
- Karte der Biotopfunktion
- Karte der Agrarfunktion
- Karte der Klimafunktion
Die Inhalte der einzelnen Karten sind in Anlage 1 dargestellt.
3.1 Aufstellung der Kriterien zur Abgrenzung der Flur-Wald-Grenze durch den PlanerIn; der Arbeitskreis wirkt dabei mit.
z.B:
- Erholungsaspekte
- Landschaftsästhetische Einzelaspekte
- Ökologische und schutzfunktionale Kriterien
- Ökonomische Kriterien
- Forstliche Kriterien
- Planungsvorhaben
3.2 Auswahl der Primärkriterien
Alle Flächen, auf die ein Primärkriterium zutrifft, scheiden als Aufforstungsflächen aus. Die Primärkriterien sind gemarkungsspezifisch. Sie werden nach Vorschlag des Planers in Abstimmung mit dem Arbeitskreis ausgewählt.
z.B.:
Primärkriterium Biotopfunktion
Darunter zu verstehen sind Flächen mit besonderer Bedeutung für den Erhalt schützenswerter und schutzbedürftiger
Lebensgemeinschaften. Aussagen über derartige Flächen sind zu finden in
- der Biotopkartierung Baden-Württemberg,
- der Feuchtgebietskartierung,
- den Schutzgebietsverordnungen zu Naturparken, Naturschutzgebieten, Landschaftsschutzgebieten, Naturdenkmalen...,
- den örtlichen und überörtlichen Biotopkartierungen, Biotopvernetzungskonzeptionen und Pflegeprogrammen.
Empfehlenswert ist die Kontaktaufnahme mit den örtlichen Naturschutzverbänden, um weitere Informationen über nach §24a NatSchG BaWü und Rote-Liste-Arten zu erhalten. Eventuell sind hierzu auch Einzeluntersuchungen notwendig.
Primärkriterium Erholungsfunktion
Es sind die vorhandenen Freizeit- und Erholungseinrichtungen zu erfassen, und die daraus resultierenden Anforderungen an die Landschaft zu berücksichtigen.
Arbeits- und Informationsunterlagen: regionalplan, Flächennutzungsplan, Fremdenverkehrsentwicklungsprogramm, örtliches Entwicklungskonzept, Fremdenverkehrsprospekte und weitere Informationen vom Fremdenverkehrsverein.
z.B.: Freizeitaktivität „Wandern".
Anforderungen:
- umfangreiches ausgedehntes Wanderwegenetz
- attraktive Wanderziele (Aussichtspunkt, Denkmal, Gasthaus)
- reich strukturierte Landschaft mit
- Mosaik verschiedener Nutzungen
- gliedernden und belebenden Landschaftselementen
- Wechsel in der Topographie
- Geschwungene Waldränder
- sonstiges Angebot an Freizeit- und Erholungseinrichtungen.
Primärkriterium Landschaftsbildfunktion
Die schutzwürdigen Landschaften und Landschaftsteile sollen unter Berücksichtigung der jeweiligen räumlichen Strukturen und naturräumlichen Gegebenheiten erfasst und erhalten werden. Die Auswertung von Plänen, Programmen und sonstiger Literatur (z.B. Landschaftsrahmenplan, Regionalplan, Landschaftsplan, Heimatbücher, Wanderführer, Kreisbeschreibungen...), von Schrägaufnahmen und die Begehung vor Ort vermitteln dem Planer das charakteristische Landschaftsbild. Es gilt, diese Charakteristik zu erfassen und zu berücksichtigen.
d.h. beispielsweise:
- Erhalt landschaftstypischer und historischer Fluren
- Erhalt der Nutzungsvielfalt
- Erhalt gliedernder und belebender Elemente
- Erhalt des Wechsels in der Topographie
- Erhalt von Sicht- und Freiräumen
- Erhalt von Gegensätzen (z.B. gepflegte und naturnahe Flächen [Wildnis])
- Erhalt optischer Reize (z.B. jahreszeitlicher Blühaspekt)
Primärkriterium Agrarfunktion
Flächen mit besonderer Eignung für die landwirtschaftliche Nutzung sind offen zu halten. Informationen hierüber findet
man in
- der Flurbilanz
- der landwirtschaftlichen Vorplanung
- den Aussagen der Landwirtschaftsämter
- der Geländekartierung (Hangneigungsstufen)
Es sind diejenigen Flächen offen zu halten, die für den Fortbestand der landwirtschaftlichen Betriebe notwendig sind. Die Kontaktaufnahme mit Vertretern der örtlichen Landwirtschaft ist empfehlenswert.
Primärkriterium Klimafunktion
Günstige Klimaverhältnisse sind in Luftkurorten und Heilbädern von besonderer Bedeutung. Die Erstellung von Klimagutachten ist in Einzelfällen dringend erforderlich.
Klimaatlas, Topographische Karte, Wetterstationen und Ortsbegehungen geben Auskunft über das vorherrschende Klima.
Wichtige Kriterien sind:
- Kaltluftabfluss (sollte besonders aus Siedlungsflächen gewährleistet sein)
- Kaltluftentstehungs- und –sammelgebiete
- Verhinderung von Kaltluftstau und Kaltluftseen (Frostgefahr, Nebelbildung)
- Durchlüftung der Ortslage, Frischluftzufuhr (Abzug von Emissionen)
- Besonnung/ Beschattung der Wohngebiete
Primärkriterium Freiraum um Siedlungen
Nach §4 LBO dürfen Flächen, die weniger als 30m von Siedlungsflächen entfernt sind, nicht aufgeforstet werden. Außerdem muß nach §15 NRG von Wald zu anderen Nutzungen ein Mindestabstand von 8m eingehalten werden.
Wohnqualität
Zur Gewährsleistung einer guten Wohnqualität sind außer den gesetzlichen Mindestabständen noch weitere Kriterien zu
berücksichtigen, wie z.B.
- ausreichend Freiraum um Siedlungen (z.B. nach Büro Miess, Karlsruhe Verhältnis Siedlung/ Flur nicht enger als 1:1,5)
- abwechslungsreiches Landschaftsbild (Landschaftselemente, Aussicht)
- günstige Klima- und Besonnungsverhältnisse
Zu berücksichtigen sind außerdem die charakteristische Siedlungsstruktur, markante Ortsränder und interessante Ortseingangssituationen.
3.3 Bewertung der Restflächen
Nach Ausscheiden der Flächen, auf die ein Primärkriterium zutrifft, erfolgt die Bewertung der Restflächen anhand des Kriterienkatalogs (Formblatt als Argumentations- und Entscheidungshilfe, siehe Anhang 2).
Die Gewichtung der anzuwendenden Kriterien erfolgt durch den Planer in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis. Vorschlag: Bei Zutreffen von mind. 2 Kriterien ist die Fläche offen zu halten.
4.1 Erstellung eines Leitbildes für die Entwicklung der Flur als Maßstab für die Planung
Hier erfolgt ggf. die Korrektur der Zielvorstellungen (Entscheidungshilfe für die PlanerIn). Der zur Abstimmung vorgelegte
Vorentwurf kann so auf eine weitgehend realistische Ebene gebracht werden. Missverständnisse werden ausgeräumt, die
Abstimmungsphase wird entlastet.
4.2 Vorentwurf (= Idealplan M 1:5.000)
Es erfolgt die Darstellung der Flur-Wald-Grenze in der Karte. Es wird unterschieden in:
- mögliche Aufforstungsflächen für Wald (Laubholzanteil, Waldrandgestaltung)
- Flächen für die Ausbildung eines Waldmantels
- Mögliche Flächen für natürliche Waldsukzession oder gelenkte Sukzession (Hurstfluren)
5.1 Zusammenführung von Idealplan, landwirtschaftlichem Nutzungskonzept und politischen Vorgaben unter Berücksichtigung bestehender Förderprogramme. Gegebenenfalls muss der Idealplan korrigiert werden.
5.2 Vorstellung der Flur-Wald-Grenze im Gemeinderat
Der Entwurf erhält seine endgültige Fassung.
Die Flur-Wald-Grenze wird als Gemeindesatzung beschlossen. Eine Übernahme in die Bauleitplanung ist wünschenswert.
Anhang 1: Darstellung der Kartierergebnisse in verschiedenen Karten
Anhang 2: Bewertung von Teilflächen
In der 2018 erschienenen Broschüre
zur Landschaftpflegerichtlinie Baden-Württemberg wird ein Beispiel zur Förderung einer Mindestflurkonzeption über LPR
Teil E1 exemplarisch vorgestellt.
Zwischen 2001 und 2002 wurde für die Gemarkungen Forbach, Weisenbach, Gernsbach und Loffenau das "Murgtalprojekt I" erstellt. Dieses hatte die Erstellung eines ganzheitlichen Landnutzungskonzepts sowie dessen betriebswirtschaftliche Bewertung zum Ziel. Im Rahmen des Projekts sollte vor allem eine an der landwirtschaftlichen Nutzung orientierte Landschaftspflege an den Mindestfluren durch Beweidung sichergestellt werden.
Den Artikel "Futtern gegen Wildwuchs" finden Sie auf den Seiten
32 und 33 der LPR-Broschüre.
Literatur:
MINISTERIUM FÜR ERNÄHRUNG, LANDWIRTSCHAFT UND UMWELT BADEN-WÜRTTEMBERG (1973): Schwarzwaldprogramm. 76 S. und Anhang.
Links: