Die gesamte Landschaft in Baden-Württemberg, wie auch in ganz Mitteleuropa, wurde im Laufe der Jahrtausende durch den Menschen beeinflusst. Beginnend mit der Sesshaftwerdung und Entwicklung der Landwirtschaft während des Neolithikums wurde die Landschaft durch die Nutzung von Flächen als Weidefläche für Nutztiere oder als Ackerland verändert. So vollzog sich die Umwandlung der vorherrschenden geschlossenen Wälder hin zu strukturreicherem Offenland mit Einzelbäumen und Gebüschen. Dabei entwickelte sich auch immer wieder neuer Wald, wenn Menschen an einem Ort weniger aktiv waren. Die Lebensbedingungen von Tier- und Pflanzenarten wurden stetig verändert, sodass die natürlichen Anpassungsstrategien der Organismen schon lange Zeit im Zusammenhang mit menschlichen Aktivitäten stehen. Der Mensch hat so im Laufe der Zeit eine Kulturlandschaft mit ganz eigenen Ökosystemen hervorgebracht, die sonst nie entstanden wären.
Die Biodiversität, also die Verschiedenheit und Vielfalt des gesamten Lebens auf der Erde, umfasst grob drei Dimensionen, die sich gegenseitig bedingen und beeinflussen.
Die Basis bildet dabei die Vielfalt der Gene, die innerhalb von Arten und Populationen besteht. Je größer die genetische Vielfalt hier ist, desto mehr Möglichkeiten gibt es für Populationen, auf Umweltveränderungen durch Weiterentwicklung zu reagieren und sich so anzupassen. Ein Beispiel dafür ist die Farbänderung des Birkenspanners (Biston betularia) in industrialisierten Regionen des 19. Jahrhunderts. Eigentlich sind die Flügel der Tiere weiß-fleckig und so auf hellen Flechten an Baumstämmen gut getarnt. Dort wo durch Industrieabgase Flechten jedoch seltener wurden, wurden auch die Flügel des Birkenspanner-Falters dunkler, um besser vor Fressfeinden geschützt zu sein. Entscheidend für diese Anpassung ist das Vorhandensein verschiedener Färbungs-Gene bei einzelnen Falter-Individuen, die sich dann durch natürliche Auslese (wer nicht getarnt ist, wird gefressen) durchsetzt.
Eine weitere Dimension bilden die verschiedenen Arten, die in einem räumlichen Zusammenhang vorkommen. Die Artenvielfalt ist auch ein guter Maßstab, um den ökologischen Wert von Lebensraumtypen an unterschiedlichen Standorten zu vergleichen, also beispielsweise auf welchem Mähwiesenstandort mehr Insektenarten vorkommen.
Aus dem Zusammenspiel der verschiedenen Arten und ihren verschiedenen Eigenschaften ergeben sich, basierend auf den unbelebten Standortfaktoren wie Klima und Boden, die Ökosysteme als dritte Dimension. Dazu zählt beispielsweise das Meer oder der Wald. Hier besteht oft aber keine harte Abgrenzung, sondern mehr ein fließender Übergang zwischen den einzelnen Biotopen und Lebensgemeinschaften von Arten verschiedener Ökosysteme. Je größer die Vielfalt ist, die innerhalb eines Ökosystems herrscht, desto elastischer kann es auf Störungen reagieren und sein Gleichgewicht wiederherstellen.
Die drei Dimensionen sind eng miteinander verwoben, ergänzen sich und werden ganzheitlich betrachtet. Ein funktionierendes Ökosystem ist Voraussetzung für das Überleben der Arten und innerhalb der Arten ist eine hinreichend große Variabilität der Gene notwendig, um die Fitness der Art zu gewährleisten. Diese Interaktion innerhalb der Dimensionen wird als funktionelle Biodiversität bezeichnet und rückt immer mehr in den Fokus von Forschungsarbeiten.
Als Art Homo sapiens ist auch der Mensch abhängig von der Belastbarkeit und Anpassungsfähigkeit der Arten und Ökosysteme. Seit einiger Zeit wächst auch das Bewusstsein der Gesellschaft für sogenannte Ökosystemleistungen durch intakte Ökosysteme und eine große Biodiversität. Dazu zählen beispielsweise der Schutz vor Naturkatastrophen, ebenso wie die natürliche Schädlingskontrolle durch eine hohe Artenvielfalt. Außerdem die genetische Vielfalt in der Pflanzenzüchtung, die eine Ernährungssicherheit auch bei Klimaänderungen gewährleistet.
Wie ein scheinbar kleiner Eingriff zu großen und unvorhergesehenen Problemen führen kann, kann man am Beispiel eingeschleppter Arten nach Australien sehen. Viele Tiere, die in Europa unproblematisch sind, führten dort zu Plagen und gefährdeten die heimische Fauna, weil die gewachsenen Konkurrenz- oder Fressfeindbeziehungen zu anderen Organismen fehlten.
Einen positiven Einfluss auf die Biodiversität kann der Mensch vor allem durch extensive Landnutzung nehmen, da so eine Vielzahl an Kleinstrukturen erhalten bleibt und diese auch nährstoffärmere Standorten nutzt und freihält. Durch die zunehmende Intensivierung der Landwirtschaft nach dem zweiten Weltkrieg und die Vergrößerung zusammenhängender Nutzflächen im Zuge von Flurbereinigungen verschwanden allerdings viele strukturgebende Landschaftselemente. Arbeitsaufwändige Kulturformen wie Streuobstwiesen sind heute nicht mehr wirtschaftlich, ertragsarme Standorte werden von Landwirten eher aufgegeben und verbuschen mit der Zeit. Durch die Nicht-Nutzung oder Umwandlung solcher Lebensräume (Biotope) wird aber vielen daran angepassten Arten die Lebensgrundlage entzogen. Ein Ausweichen in benachbarte Biotope ist bei erheblichen Flächenverlusten in einer Region oft nicht mehr möglich. Der Biotopverbund funktioniert dann nicht mehr. Er ist unterbrochen und es entstehen voneinander isolierte, nicht mehr im genetischen Austausch stehende Teilpopulationen der Arten.
Da kleinparzellierte und scheinbar wenig produktive Agrarökosysteme und Biotope als Reservoir für Biodiversität einen großen gesellschaftlichen Wert haben, ist es auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, diese zu schützen und zu bewahren. Baden-Württemberg hat beispielsweise eine besondere Verantwortung für den Erhalt des FFH-Lebensraumtyps der Mageren Flachland-Mähwiesen und von Streuobstwiesen, da beide schwerpunktmäßig hier vorkommen und noch einen großen Artenreichtum besitzen.
Ein wichtiger Baustein für den Erhalt kleinparzellierter, durch extensive Nutzung entstandener Offenlandökosysteme ist die Landschaftspflege. In Baden-Württemberg gibt es dazu als Förderinstrument die Landschaftspflegerichtlinie. Landschaftserhaltungsverbände sorgen gemeinsam mit Landwirt*innen für die Erhaltung und Weiterentwicklung von Kulturlandschaften. Sie stehen damit für den konstruktiven Austausch zwischen Landwirtschaft und Naturschutz.
Eine zentrale Fragestellung der Landschaftspflege ist die Offenhaltung von Landschaften und Flächen, die nicht mehr primär wirtschaftlich genutzt werden. Dazu gibt es seit den 1970er Jahren in Baden-Württemberg die Offenhaltungsversuche, in denen verschiedene Grünlandmanagement-Methoden wie Mähen, Mulchen und Beweidung über einen langen Zeitraum auf denselben Flächen erprobt wurden. So werden wichtige Erkenntnisse über die langfristige Entwicklung von Flächen gewonnen und publiziert und fließen in die Entscheidung über die geeignete Pflegemaßnahme in die Praxis ein.
Die Landwirtschaft trägt als Landnutzerin der ersten Stunde eine besondere Verantwortung gegenüber der Biodiversität
ihrer Kulturlandschaft. Gleichzeitig hat sie als größte Flächennutzerin die Möglichkeit, hier einen direkten positiven
Einfluss zu nehmen. Jedoch stehen Landwirt*innen auch unter dem Druck, auf hohem Niveau produktiv sein zu müssen, um sich
wirtschaftlich halten zu können. Hier stellt sich die Frage, wie die Gesellschaft zukünftig die Produktions- und
Naturschutzleistungen der Landwirtschaft honorieren muss. Trotz dem Zwang, als Unternehmen wirtschaftlich zu sein, gibt es doch bei fast
jedem landwirtschaftlichen Betrieb Möglichkeiten, Naturschutzmaßnahmen an einigen Stellen umzusetzen. Für alle
Landwirt*innen, die sich gerne mehr mit dem ökologischen Potenzial und der Artenvielfalt auf ihren Flächen auseinandersetzen
möchten und auch wissen wollen, wie sich hier Maßnahmen wirtschaftlich sinnvoll integrieren lassen, bietet das Land
Baden-Württemberg Beratungsmodule zur Gesamtbetrieblichen Biodiversität im Rahmen des Programms
Beratung.Zukunft.Land an.